SIGNATUREN IM RAUM


DER WUNDERSCHÖNE GARTEN

vermutlich um 1952

Früher unveröffentlichter Text aus dem Nachlass von Hildegard


Es ist noch nicht lange her, da war einmal ein Mädchen. Und dieses Mädchen, lebt in einem wunderschönen Garten. Und rings um diesen Garten wuchs ein schwarzer Wald. Und  hinter diesen schwarzen Wald, da floss ein Strom. Der war so breit, dass das andere Ufer unsichtbar war. Nun ist es möglich, dass sich hinter diesem Fluss noch eine weite weiße ausbreitete. Ich kann es nicht genau sagen.

So kam es, dass niemand um diesen Garten wusste, geschweige denn erblickt hätte. Denn es schützen ihn ja (wie ich glaubte) drei Weisen: die Mauer des Waldes, die Unüberwindbarkeit des Flusses und die Einsamkeit der Wüste.
Und so kam es auch, dass das Mädchen immer alleine blieb. Aber weil es daran gewöhnt war, wusste sie es nicht zu dem zu sagst und der Garten Abwechslung genug war.
Da war zunächst der See. Der lag wie eine große blaue Scheibe in der Mitte des Gartens. Und wenn die Sonne darauf schien glich er einem Opal oder auch einem großen allwissend im Auge. Dieses Auge war rein und klar und wenn du hineinschautest, sahst du tief auf den Grund, als wäre es aus Glas, oft schirme der Grund weiß und schön hervor. Vielleicht war er aus Marmor, vielleicht täuchte auch das silberne Wasser des Sees, der unbeweglich da stand wie schweres Blei. Aber da er stets so still und ruhig war, wurde er der Spiegel des ganzen Gartens. Alle Blumen und Gräser stürzen ihr Bild in diesen Spiegel. Und wer den See schaute, der erschaut zugleich den Garten. Warst du aber einen Kiesel hinein, dann entstand ein Wirrwar von lauter Bildeffekten und die kleine wahnsinnigen Wellen hüpften und sprangen in immer weiter wachsenden Ringen zum Ufer, zerbrachen an ihn und schwammen zurück. Hatten sie sich endlich ausgetobt dann blieb nicht ein einziger Riss im Spiegel zurück.
Wie gesagt lag diese sich in der Mitte des Gartens, und es führten vier Wege zu ihm hin: einer vom Norden, einer von Osten, einer von Süden und einer von Westen.  Die vier Wege zerschnitten den Garten in vier gleiche Teile: den Weisshaag, den Rothaag, den Schwarzhaag und den Grünhaag.  Jeder Haag nannte sich nach der Farbe seiner Blumen. Im Weißhaag wuchsen zum Beispiel nur weiße Blumen, die sich aber in Form und Ausdruck voneinander unterschieden. Es gab also trotz der Einheit oder (wenn man meinte) der Eintönigkeit der Farbe dort eine Mannigfaltigkeit der Gestalt. Denn Entfaltung geschieht nur in der Ordnung, in der Unterordnung aber wirkt sie zerstörerisch.

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